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Der Fehlschuss des Jahrhunderts


Erling Haaland schenkt zum Abschied Schweizer Uhren.

Ich habe meine Entscheidung getroffen: Ich werde mir die Fussballspiele in Katar im Fernsehen anschauen, aber mit niemandem darüber sprechen. Soll es jeder Mensch handhaben, wie er oder sie will. Die Fehler sind schon viel früher passiert, haben eigentlich nichts mit Sport zu tun und die Katari sind ganz gewiss nicht die einzig Schuldigen in diesem Theater der Scheinheiligen. Doch der Reihe nach.


Weil die grösste Sportveranstaltung der Welt standesgemäss etwas Vorlauf benötigt, hätte die Kandidatur aus der Wüste schon vor zwölf Jahren abgeschmettert werden sollen. Gemäss Statuten der FIFA muss die Weltmeisterschaft nämlich ausdrücklich im nordhemisphärischen Sommer stattfinden. Basierend auf dem begründeten Verdacht, dass wohl bei jeder Vergabe in den letzten Jahrzehnten bestochen und betrogen wurde, kann ich den Versuch der Katari mit Geld zu locken, persönlich durchaus nachvollziehen. Immerhin dienen die Investitionen in den globalen Sport der Landesverteidigung. Wer Geschichte und Nachbarschaft am Persischen Golf einmal etwas näher betrachtet, der hat unter Umständen sogar Verständnis für diese Strategie: Man möchte sich Beliebtheit erkaufen mit dem Ziel, Beistand zu erhalten, sollte der Frieden dereinst brechen.


Frei nach dem Motto «der Zweck heiligt die Mittel» wurde kein Aufwand gescheut, den Berg statutarischer, politischer, sozialer und vor allem ökologischer Argumente zu überwinden. Dafür reichten offene Ohren nicht – nötig waren vor allem offene Taschen. Der Versuch der Bestechung ist strafbar – war aber überaus erfolgreich: Manche Legende liess sich kaufen und bewahrte dabei – mit der Hilfe erstklassiger Juristen – sogar die Unschuld – vor dem Richter, ganz sicher nicht vor dem Spiegel.


Die Vergabe war also perfekt und jede nachfolgend aufkeimende Kritik wurde fortlaufend weggekauft. Dieses absolut streitbare Fundament bot eine unglaubliche Chance, das Hauptziel – globale Beliebtheit – zu erreichen. Diese Steilvorlage wurde kläglich vergeben. Als Wertearchitekt hätte ich das Mandat ohne zu zögern abgelehnt. Dennoch möchte ich anhand zweier Beispiele kurz darlegen, welche zielführenden Alternativen möglich gewesen wären:


Katar verfügt heute über acht topmoderne Fussballstadien im Umkreis weniger Kilometer, die ab 2023 zum grössten Teil nie mehr genutzt werden. In Absprache mit der FIFA hätte der Wüstenstaat ein ökologisches Zeichen setzen und die Anzahl Arenen auf 2 oder maximal 4 reduzieren können. Statuten sind ja nicht in Stein gemeisselt, wie sich 2010 zeigte. Mit der Einsparung von rund 2 bis 3 Milliarden Franken hätten die Katari sicherstellen können, dass es den Gastarbeiter:innen wirklich gut geht. Was für eine Geschichte wäre das gewesen.


Weiter hätten die Katari eine einmalige Gelegenheit gehabt, sich im Umgang mit der bunten Vielfalt an Lebensstilen auf unserem Planeten etwas zu öffnen und im arabischen Raum eine Pionierrolle zu übernehmen. Immerhin wollen sie unsere Hilfe, sollte es dereinst wieder knallen – und unsere Gesellschaft besteht zum guten Glück nicht nur aus heterosexuellen Patriarchen.


Beide dargelegten Massnahmen hätten eine grosse Veränderung mit berechtigter Aussicht auf Nachhaltigkeit gehabt. Wohl auch deshalb wurden sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht einmal angedacht.


Die FIFA liess aber auch wirklich keine Gelegenheit aus, um schlechte Entscheidungen zu treffen. So wurde an der statutarisch verankerten Regelung festgehalten, die eine Nutzung der im Überfluss vorhandenen und nach dem Turnier mutmasslich nie mehr genutzten WM-Stadien für Testspiele untersagt. Das führte zur Absurdität, dass die beiden Teams aus der Schweiz und Ghana mit der gesamten Belegschaft nach Dubai fliegen mussten, um sich dort in einem leeren Stadion zu begegnen. Die Statuten ändern, um eine Turniervergabe in die Wüste zu legitimieren war kein Problem. Die Statuten ändern, um den Aufwand für ein Testspiel auf ein Minimum zu reduzieren ist dagegen kein Thema. Der Klimawandel lässt freundlich grüssen.


Lassen wir es ungut sein: Die Katari haben ihre Veranstaltung, die in Bezug auf das definierte Ziel mit Sicherheit kontraproduktiv ist, die Funktionäre haben neue Luxusgüter – hoffentlich begleitet von einem miesen Gefühl – und die Menschheit hat wieder einmal eine grosse Chance verpasst, sich zu verändern. Mit Fussball hat das alles eigentlich nichts zu tun. Vielmehr ist es ein weiterer Beweis, wie unsere Welt funktioniert und anhand welcher Kriterien jeden Tag Entscheidungen gefällt und Aufträge vergeben werden.


Lasst die Spiele beginnen und es bei nächster Gelegenheit besser machen.


#luftnachoben


Was meinst du?


A. Alles richtig gemacht, Katari. Die anderen sind selber Schuld, haben sie mitgespielt.

B. Ich finde es beschämend, aber es hat mit Fussball nicht viel zu tun.

C. Ohne mich. Ich schaue bewusst weg.

D. Ich schaue nicht nur nicht, ich organisiere sogar ein Public Non-Viewing!

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